Leistungssport in der TGM – oder das Jahr im Kajak
Rennsport in der TGM! Alles begann vor langer Zeit mit einem X. Platz auf der Regatta Y am Tag Z. Weiter erzielten wir folgende Plazierungen. Und so weiter und so fort!
Interessiert das irgendwen?
Rennsport in der TGM! Geschichten von Einsatzfreude und Kameradschaft … Mit dieser Aufmachung kann man wohl niemanden hinterm Ofen hervorlocken.
Was schreibt man nun über den Leistungssport?
Ich hab´s! Man schreibt darüber, wovon Ihr ( die Einteilung Euch und Uns erläutere ich später ) überhaupt nichts, oder nur wenig mitbekommt, darüber, wie wir das Jahr so verbringen. Denn darüber herrscht bei vielen TGM-Mitgliedern profunde Unkenntnis. Es sei nur an die Ausschußsitzung gedacht, wo darüber diskutiert wurde, wie man der Geruchsbelästigung in der Herrenumkleide herr wird. Man könnte die Schleuder ja auf die Veranda stellen. Auf den Einwand von Robert, was man dann im Winter täte, wenn es draußen friert, meinte ein Herr sinngemäß: ”Robert, Hand auf´s Herz, wie oft kommt das denn vor?” Er meinte: Nicht daß es draußen friert, sondern daß man paddle, wenn es draußen friert!
Es herrscht Erklärungsbedarf.
Der Unterschied zwischen Uns und Euch. Wir sind die, die Rennen fahren, oder gefahren sind und die das ganze Jahr mehr oder weniger regelmäßig trainieren. Ihr seid die, die wir Bongos oder Bongoloisten nennen. Ihr fahrt im Sommer mit unzerstörbaren Booten Bäche und Flüsse hinunter, holt Euch die Boote dafür im Bootshaus ab und trefft uns deshalb dort an.
Ihr habt Euch sicher schon gefragt, was sind das für Typen, die eigentlich immer im Bootshaus anzutreffen sind, wenn Ihr im Sommer dasselbe aufsucht? Diese Typen, die anscheinend nur über´s Bootfahren sprechen können, faul auf der Wiese rumliegen und die man gar nicht ansprechen möchte. Die auf keinem Fest und ”Räumen-tun-wir” zu finden sind – was aber überhaupt nicht stimmt.
Darauf folgt nun der Versuch einer Annäherung anhand einer Beschreibung unseres Jahresablaufes, mit einer teilweisen Gegenüberstellung Eurer Aktivitäten. Wir beginnen mit dem Start Eurer Paddelsaison:
Mai , die ersten wirklich warmen Tage. Die Bäche im Alpengebiet haben noch etwas Schmelzwasser. Man sieht die ersten Bongos im Bootshaus. Seit Ende April läuft wieder Wasser durch die Floßgasse und so begeben sich mit Beginn der Kurse wieder Scharen von Dickschiffen in die Kehrwässer von Sauloch und Schaukelpferd. Die Surfer in der letzten Welle müssen sich das Terrain mit Euch teilen.
Für uns dagegen ist die Rennsaison schon fast vorbei. Die wirklichen Wildwasserrennen, wie Fulda, Loisach, Perlbach und Rur bei Monschau in der Eifel, Brandenberger Ache, Enz, Saalach oder Eisack sind schon gelaufen, oder finden in den nächsten beiden Wochen statt. Unsere Boote (nicht alle – es gibt ja noch die Donau, doch davon später) sind schon arg mitgenommen. Die ”Deutsche” steht noch an. Dann ist es mit den Rennen vorbei. Die Veranstaltungen auf der Donau, die im Juni und Juli folgen, sind gar keine richtigen Rennen – meinen einige von uns zumindest. Was den ”Bootsabbaufaktor”* betrifft, haben sie recht, anstrengend sind sie trotzdem.
Es ist auch die Zeit des Abteilungsleiters Triathlon. Verzweifelt sucht er seit Monaten Mitglieder der ”Bongo-Fraktion” zur Teilnahme am Kanu-Triathlon zu bewegen. Dieser, in der Gegend der Floßlände veranstaltet, setzt sich bei uns aus Laufen, Radeln und Paddeln zusammen. Doch bis auf wenige Ausnahmen – manche kommen sogar aus Frankreich hierher – kann er nur auf einige alte Recken zählen. Sonstige Bongos: Fehlanzeige! Doch auch bei den Rennsportlern mehren sich die Ausfälle: Verletzungen, Terminüberschneidung ”Deutsche”, Weltmeisterschaft (Christophe als Trainer-Betreuer-Fahrer-Bootsbesorger-Reviermeister-Kindermädchen-viersprachiger Übersetzer und mit Abstand erfolgreichster Athlet der Mexikanischen Mannschaft) dezimierten das Feld der der TGM-Rennsportler arg. Der Teilnehmerpreis ging 1998 nach Sachsen. Anscheinend sind die noch nicht so vom Wohlstand geschädigt.
Juni und Juli . Rennen auf der Donau bei Donauwörth, Obernzell, Straubing und Passau. Das Wetter paßt und die Atmosphäre auch. Wir begeben uns z. B. nach Straubing (wunderschönes Kanuclub-Gelände) und fahren drei Rennen, ohne auch nur einmal das Auto benützen zu müssen. Vom Bootshaus paddelt man in einem Seitenkanal zum Start, zieht den Zweier-Canadier am Expander hinter sich her, fährt das Einzel, paddelt zum Start, fährt das C 2-Rennen, paddelt zum Start und legt den Zweier-Canadier ab, fährt das Mannschaftsrennen, paddelt zum Start und bringt den ange-hängten Canadier zum Bootshaus. Da schmeckt einem das Essen hernach. Und man hat keinen Bootsschaden!
Ende Juli stellt die TGM beim Donaumarathon Vohburg-Kehlheim quasi das gesamte Feld derer, die mit Rennbooten antreten. Ein wichtiger Termin, bei Kosiks in Kehlheim liegt einer unserer versteckten Stützpunkte. Den Marathon haben wir je nach Wasserstand in 1:28 bis 1:48 Stunden hinter uns gebracht. Bei der Siegerehrung nimmt jeder etwas aus der Sachpreisverlosung mit nach Hause und tags darauf gehen wir mit der Kelheimer Clique zum Biken** in´s Umland. Oft wird daraus ein Ausscheidungsfahrender unbarmherzigsten Art, hat mandoch das Rennen vom Vortag in den Knochen. Oben am Berg wird jedoch immer fair aufeinander gewartet. Und so fährt man abends beschwingt zurück nach München. Für die härteren unter uns gibt es noch den Salza-Marathon, 2 Stunden Wildwasser vom feinsten. Und wenn´s blöd läuft, findet das Sommerfest zeitgleich mit einem dieser Rennen statt. Was wiederum das Fortbleiben erklärt. Es liegt hierin von unsrer Seite keine Absicht vor.
Um diese Zeit, man kann auch den August dazuzählen, liegt unser sportlicher Schwerpunkt nicht beim Kajakfahren. Zwar wird nach wie vor regelmäßig gepaddelt, manchmal auch zum Georgenstein (nicht mit dem Auto, sondern vom Bootshaus aus), aber man geht doch lieber zum Biken oder Rennradfahren. Bei Helligkeit bis 21:00 Uhr kann man nach der Arbeit noch herrlich radeln. An den Wochenenden treffen wir uns regelmäßig zu Biketouren in den angrenzenden Gebirgsausläufern. Nicht zu vergessen sind die spontanen Grilleinlagen im kleinen Kreis. Man trifft sich zum Plausch und zur Formung des Körpers. Tags darauf machen wir diese Formung mittels Training wieder rückgängig. Ein weiterer Grund dafür, daß wir im August weniger paddeln, ist der Urlaub. Was nicht heißt, daß nicht einige doch den Kajak mitnehmen. So waren Jesko und Hardy mehrmals in Asturien – Spanien – beim Sella-Rennen. Das sind insgesamt 5 bis 6 Rennen. Da lohnt sich wenigstens die Anreise. Wer mehr vom Flair dort erfahren will, der muß die beiden halt fragen.
September . Als fester Bestandteil hat sich das Rennen auf der Ache zwischen Kössen und Schleching etabliert. Und wer gerne Auto fährt und auch dem ”Kölsch” nicht abgeneigt ist, der gibt sich das ”Wappen von Köln”, ein Rennen auf dem Rhein. Wenn es der Wasserstand zuläßt, fahren wir im September/ Oktober am Wochenende von Bad Tölz bis Wolfratshausen, Training auf bewegtem Wasser für den Ardèche Marathon Anfang November. Leider haben die letzten beiden Jahre mit ihrer Trockenheit dieses Training unmöglich gemacht. Wir wollen schließlich paddeln und nicht am Grund scharren. Ein bißchen anspruchsvoll sind wir dann doch. Den Kanuslalom, der traditionell Ende September ”stattfand”, fuhren auch einige der Rennfahrer mit. Man kann nämlich nicht nur gerade den Bach ”runterheizen”. Und bei der Tour in´s Engadin wurden Rennfahrer (aktive sogar) gesichtet. Deren Fazit – auch Bongoloisten, die meisten jedenfalls, können paddeln.
Oktober . Die Bongos beschließen ihr Jahr mit dem Abpaddeln. Die Sommerzeit geht zu Ende. Die schlimmste Zeit im Jahr beginnt. Ewige Dunkelheit und kein Schnee. Man kommt von der Arbeit und geht zum Paddeln. Drei bis fünf mal während der Arbeitswoche. Bei jedem Wetter. Aber das Wetter ist es nicht. Es ist die Dunkelheit. Und so zieht man seine Runden am Kanal. Manche ein bis eineinhalb Stunden. Die sind hart. Andere fahren nicht so lange, gehen aber dafür nachher zum Laufen. Nie vorher laufen, das ist ”tödlich”. Gehantelt (= Krafttraining) wird wenig, bei uns in München wenigstens. Wenn die Wege trocken sind, kann man es auch mit Radeln probieren, vorausgesetzt, man hat eine brauchbare Beleuchtung. Stirnlampen aus Skandinavien haben sich als höchst nützlich erwiesen. Nie bei Nebel oder Schneefall mit Stirnlampe. Du wirst blind oder wahnsinnig, oder beides.
Mancher Bongo wird sich nun fragen, ist man das nicht schon, wenn man sich das ”antut”? Aber was will man schon anders machen, wenn man über den Winter fit bleiben, bzw. werden möchte, weil die Rennen im März-April-Mai stattfinden, Hallensportarten einem aber nicht zusagen.
Etwas Hingabe ist schon nötig, wenn das in unserer Wohlstandsgesellschaft auch schwer verständlich erscheint. Da will jeder seinen Fun (sprich: faahn) haben. Im Sommer tut man Paragliden, Inline-Skaten, Sommerski am Gletscher, Biken, Radlfahrn, Bongolisieren, Canyoning (zu deutsch: Schluchteln) Klettern, Bergsteigen (ach wie altbacken), im Winter Langlaufen, Skifahren, Boarden, Backcountryskiing, Boarder-Cross, Varianteln, Telemarken, Cross-Telemarken und so weiter und so fort. Von allem ein bißchen, aber halt nichts gescheit. Klar, daß man sich über jemanden wundert, der (fast) täglich den gleichen Sport macht. Und Paddeln kann man immer, wenigstens solange der Kanal Wasser hat. So schlecht kann das Wetter gar nicht sein. Und der Regen ist der Freund des Paddlers – alte Weisheit!
Dezember . Dunkelheit und Kälte, um Weihnachten herum nur Dunkelheit. Wenn Schnee liegt, ist die Dunkelheit gar nicht so schlimm.
Dann überwiegt das Naturerlebnis. Aber wann ist es schon so kalt, daß bei uns Schnee liegen bleibt?
Apropos Kälte. Kann sich ein Bongoloist vorstellen zu paddeln, wenn es unter Null Grad hat? Das ist aber kein Problem, Kleidung und vor allem Bewegung*** halten warm. Und die Eisschicht am Boot, auf den Schultern und den Paddelstutzen kann man abklopfen. Jeden Winter, 1993 sogar schon im November, müssen wir etwas unerlaubtes tun, etwas, das die paddelfaulen MTV´ler schon kultiviert haben: Wir steigen am großen Kanal ein. Warum? der kleine Kanal friert zu, da er steht. In manchen Wintern, zuletzt 1996/97, steigt man mehr als zwei Monate lang an der Bucht ein und aus. Für Euch unvorstellbar, oder? Ich denke da an die eingangs erwähnte Schleuder auf der Veranda. Manches Mal fährt ein Teil von uns auch zu einem Rennen nach Slowenien. Wir werden das jedoch nur noch machen, wenn es sich nicht mit dem Termin der Weihnachtsfeier überschneidet. Die will nämlich keiner versäumen.
Noch etwas: Der Naz (unser Hausmeister Limbeck) fragt uns beim Umkleiden nach dem Training, ob wir denn gar keine Heimat hätten. Wir verstehen ihn. Auch er möchte einmal seine Ruhe haben. Doch trainiert werden muß. Am 31. Dezember ist für uns das ”Abpaddeln” und am Tag darauf das ”Anpaddeln”. Und möglicherweise werden wir es einmal wagen ”durchzupaddeln”. Am 31.12. kurz vor Mitternacht auf´s Wasser und an Neujahr aussteigen. Das wär´s doch, oder?
Wenn uns der Wettergott hold ist, machen wir im Dezember/Januar/ Februar am Wochenende etwas anderes als Paddeln. Wir gehen zum Langlaufen. Manche mit Steigwachs und parallel geführtem Ski, der überwiegende Teil in einer Art Schlittschuhschritt, Skaten genannt. Die Gegend um Moosham ist uns dabei am liebsten, doch auch die ”Sutten” wird nicht verschmäht.
Und schon haben wir März . Um den 3. herum geht die Sonne in München erst um 18:00 Uhr unter, wir beginnen das Training wenigstens im Hellen. Herrlich! Die Ausdauergrundlage wurde gelegt, nun wird das Training intensiver, um der Belastung im Rennen gewachsen zu sein. Man fährt z. B. kürzer als die normale Stunde, sagen wir 40/45 Minuten. Diese jedoch viel schneller. Oder man fährt Intervalle, d. h. schnelle Abschnitte wechseln mit langsameren ab. Oder man fährt mit einem um das Boot gebundenen Expander. Das steigert die Intensität, und hat den Vorteil, daß man mehr auf die korrekte Technik achten kann, da die Bewegung langsamer ist. Bestes Training ist aber nach wie vor das Fahren auf bewegtem Wasser mit Strömung. Man hat einen größeren Druck am Blatt und arbeitet an der Bootsbeherrschung.
Gepaddelt wird nun täglich. An den Wochenenden sind Rennen, oder man begutachtet den Bach, auf dem die ”Deutsche” stattfindet. So geht die Zeit vorbei. Wir haben Mai.
Und so hat sich der Kreis wieder geschlossen.
Berti Maier
*Bootsabbaufaktor: Grad der Zerstörung des Rennkajaks durch Kollision mit Hindernissen, wie Felsen, Eisenträger o. ä. im Flußlauf.
** Biken: Hat nichts mit Motorradfahren zu tun. Biken bedeutet die Fortbewegung mit dem Bergradl – neudeutsch ”Mountainbike”. Dazu sind keine Berge nötig. Man kann auch vom Bootshaus aus nach Schäftlarn ”biken”, was wir im Sommer regelmäßig tun.
***Bewegung: Mangelnde Bewegung erzeugt Frösteln. Siehe Eintrag Jörg Hofmann im Tourenbuch Mai 1997